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Corona und dem Zufall sei Dank

Auf Umwegen kommt eine junge Frau in die Pflege

Der Umstieg auf eine neue Schule, neue Mitschüler, Lehrer und Inhalte. Alles machbar, aber dann wurde der Unterricht immer mehr auf Wechsel- und Fernunterricht umgestellt. Das war nicht ihr Ding, sagt die junge Frau. Gerade zu Beginn hätte sie den Präsenzunterricht gebraucht, um die Inhalte besser zu verstehen. Auch der Kontakt zu ihren Mitschülern fehlt ihr, nach einigen Monaten bricht sie die Schule ab. Sie bemüht sich um eine Ausbildung, aber auch da spürt sie Corona und seine Folgen. Vielen Firmen war die Lage zu unsicher, um einen Ausbildungsvertrag abzuschließen. Für die Zeit bis zu einem möglichen Ausbildungsbeginn sucht sie sich eine Nebenbeschäftigung. Ihre Tante erzählt ihr Anfang April, dass im Krankenhaus in Blaubeuren Mitarbeiter für die Zugangskontrolle und fürs Fiebermessen gesucht werden, kurz danach hört die Mutter, dass dies auch für das Seniorenzentrum Schelklingen gilt.

Die junge Frau nimmt ihren ganzen Mut zusammen und ruft im Seniorenzentrum an. Am anderen Ende der Leitung nimmt Pflege­dienstleitung Katrin Blankenhorn den Hörer ab. Sie will wissen, wann ihr Gegenüber verfügbar wäre und wird hellhörig, als diese sagt, dass sie eigentlich immer kann. Schnell werden die Hintergründe klar. Und weil da sofort ein gutes Gespräch entsteht, fragt Blankenhorn nach, an welche Ausbildung Pankratz denn denke. Irgendwas mit Banken oder im kaufmännischen Bereich ist die Antwort. „Oder vielleicht in der Pflege?“ fragt Blankenhorn nach und sagt dazu, dass für den Herbst noch ein Ausbildungsplatz frei ist.

Zu dem Zeitpunkt ist das für Pankratz noch weit weg. Sie hatte bisher keinerlei Berührungspunkte zur Pflege, hat sich mit dieser Frage noch nie zuvor beschäftigt und keine genaue Vorstellung von diesem Berufsbild. Und eigentlich weiterhin ganz andere Pläne.

Ende April fängt sie dann in der Zugangskontrolle der Einrichtung an, hat erste Kontakte zu Mitarbeitern, Angehörigen, Besuchern und hin und wieder auch zu Bewohnern. Sie denkt zum ersten Mal richtig über eine Ausbildung in der Pflege nach, spricht nochmal mit Blankenhorn und vereinbart schließlich einen Hospitationstermin. Beim ersten Mal wird sie am Vormittag eingesetzt. Und diese paar Stunden verändern alles. Sie merkt, dass ihr der Umgang mit den Bewohnern liegt, dass ihr gefällt, wie offen und liebenswert sie sind. Sie sieht die Aufgaben, die zur Pflege gehören und stellt fest, dass ein sozialer Beruf doch etwas für sie sein könnte. Nach einem weiteren Hospitationstermin im Spätdienst ist sie sich sicher: Die Ausbildung zur Pflegefachfrau ist ihr Ding. Sie weiß jetzt, dass auch Beschäftigung zu den Aufgaben einer Pflegekraft gehört. Und dass man Biographiearbeit auch beim gemeinsamen Zubereiten von Gemüse­taschen erledigen kann.

„Pflege, das ist so viel mehr als Körperpflege“ sagt Blankenhorn. „Das ist eine ganzheitliche Aufgabe. Dazu gehört, den Menschen anzunehmen wie er ist, herauszufinden, wie er früher war, was ihm wichtig war, was er gerne gemacht hat und was er gar nicht leiden konnte. Auch wenn ein Bewohner unter Demenz leidet und in einer anderen Welt ist, muss das nicht schlecht sein. Ihn dort zu unterstützen, dafür zu sorgen, dass es ihm gut geht und er sich wohl fühlt – auch das ist Pflege“.

Pankratz sagt, am Anfang habe sie Angst gehabt, die Menschen falsch zu berühren. Oder wenn sie mit ihnen auf die Toilette ging, fragte sie sich, wie die Person sich jetzt fühlt, ob es ihr wohl unangenehm ist, dass sie Hilfe braucht und wie sie die Situation besser gestalten kann. Immerhin dringt sie ja in die Privatsphäre eines fremden Menschen ein und möchte dem Menschen und seinen Bedürfnissen gerecht werden.

Aussagen wie diese waren es, die Blankenhorn schon ganz früh vermuten ließen, dass ihre junge Anruferin in der Pflege gut aufgehoben sein könnte. Und das zeigt sich immer mehr. Die Bewohnerinnen und Bewohner suchen ihren Kontakt, kommen zu ihr in den Eingangsbereich runter, wenn sie Dienst hat. Sie erzählen ihr Geschichten und lassen sie am Leben in den Wohnbereichen teilhaben. Sie kennt die meisten Kollegen, Bewohner und auch ihre Vorgesetzten – das sind ideale Startvoraussetzungen für den Ausbildungsstart im August.

Sie selbst sagt: „Ich habe keine Angst vor dem ersten Tag. Ich freue mich einfach auf diesen neuen Lebensabschnitt. Es gibt so viele Möglichkeiten, sich in diesem Berufsfeld zu entwickeln. Und wenn das je doch nichts für mich ist, kann ich irgendwann immer noch mein Abi nachmachen und Jura studieren, aber daran denke ich im Moment kein bisschen. Ich weiß, dass ich hier meinen Platz gefunden habe und das lässt mich sehr positiv in die Zukunft schauen. Vor allem, weil diese Monate in der Zugangskontrolle mir nicht nur einen Ausbildungsplatz gebracht haben. Ich bin auch als Mensch gewachsen. Früher war ich schüchtern und zurückhaltend. Inzwischen bin ich viel selbstbewusster, gehe von mir aus auf Menschen zu und bin allgemein viel offener als früher.“